Redaktion
21.12.2021
21.12.2021
4 Minuten mit Thorsten Neumann
In vier Minuten in die Waldidylle: Die Fahrt mit der Standseilbahn ist immer ein Erlebnis. Wir nutzen die Zeit, um Stuttgarter Persönlichkeiten in einem "schrägen" Interview kennenzulernen.
Ein Weihnachtstyp ist Thorsten Neumann nicht. Aber irgendwie ist es auch logisch, dass der Leiter des Stuttgarter Werkstatthauses mehr mit Bildhauer- als mit Domino-Steinen anfangen kann. Nach Studienzeiten in den Bereichen Politik und Kulturwissenschaften wagte der gebürtige Stuttgarter einen Hechtsprung in die Stuttgarter Kulturlandschaft. Rocker 33, Dresden Bar, Palermo Galerie, White Heat und Landesmuseum Stuttgart – um nur einen Bruchteil der Locations zu nennen, bei denen er seine Finger im Spiel hatte. Heute spielt sich der Großteil seines Alltags in der Gerokstraße 7 ab, dem Standort vom Stuttgarter Werkstatthaus. Wieso er die Kunstinstitution als Mehrgenerationenhaus jenseits des Mainstreams versteht und welche Vision er 2022 umsetzen möchte, erzählt uns Thorsten Neumann in 4 Minuten.
Herr Neumann, auf was freuen Sie sich an Weihnachten am meisten? Zeit mit meiner Freundin und der Familie zu verbringen. Sind Sie eher der Typ „Weihnachtsplätzchen“ oder Typ „Lebkuchen“? Und wie sieht’s mit „Domino-Steinen“ aus?
Ich muss gestehen, dass ich weder der Plätzchen, Lebkuchen und Domino-Stein-Typ bin. Aber wenn ich gezwungen werde, dann esse ich am liebsten Weihnachtsplätzchen. Gibt es im Werkstatthaus so etwas wie einen Weihnachtsbetrieb?
Nein. Das Werkstatthaus ist über Weihnachten bis einschließlich dem 10. Januar geschlossen. Worin besteht Ihre größte handwerkliche Begabung?
Ich fotografiere leidenschaftlich und bin ein großer Filmliebhaber. Als Geisteswissenschaftler bin ich mehr der „Kopf-Mensch“. Ich bewundere aber Menschen, die mit ihren Händen schöpferisch Dinge erschaffen. Dennoch zieht sich durch meinen gesamten beruflichen Lebensweg der Wille, eigene Ideen einzubringen und umzusetzen. Ich würde mich als Macher bezeichnen, der bevorzugt im Team mit anderen Projekten umsetzt. Wie fügt sich die Leitung des Werkstatthauses in Ihre berufliche Biographie ein?
Ein logischer Schritt nach zwei tollen Jahren im Landesmuseum Württemberg sowie als Geschäftsführer diverser Gastronomie- und Kulturbetriebe wie dem Club Rocker33, der Dresden Bar, dem Projektraum Self Service, White Heat und der Palermo Galerie. Ich kann mir momentan keinen besseren Arbeitgeber als das Werkstatthaus vorstellen, ich genieße hier viele Freiheiten, habe ein tolles Team und meine Bereichsleitung hat immer ein offenes Ohr für meine Ideen. Ich freue mich auf die Zukunft und all die spannenden Projekte, die da kommen mögen. Welche der vielen Werkstätten im Haus gefällt Ihnen am besten? Und warum?
Ich habe keinen Favoriten, ich finde tatsächlich jede Werkstatt spannend. Ob Textil, Keramik, Bildhauerei, Fotografie, Medien, Malerei oder Druck. Welchen Aspekt der reichhaltigen Geschichte des Werkstatthauses finden Sie am spannendsten?
Am spannendsten finde ich tatsächlich die eigenständige Entwicklung des Hauses. Das Haus hat sich nie aktuellen Trends angepasst. Modernität um ihrer selbst willen war noch nie das Ziel des Werkstatthauses, dennoch will das Haus zeitgemäß am Puls der Zeit agieren. Das Werkstatthaus versteht sich nicht als elitäre Kunstinstitution, ist aber nichtsdestotrotz an aktuellen politischen und künstlerischen Debatten und Diskursen interessiert und will sich in Zukunft auch wieder verstärkt in die innerstädtischen Debatten und die Stadtkultur einbringen. Das Werkstatthaus kreiert Angebote für alle Generationen – egal welcher sozialen Herkunft und Backgrounds. Das folgende Zitat, stammt aus dem Katalog des Werkstatthauses und bringt es heute immer noch auf den Punkt: „Schaltstelle, Labor, Gerüst für Prozesse des Aufnehmens, Vorstellens, Einbildens, Erfindens, Verbindens, letztlich des lebendigen Agierens im Bereich des Ästhetischen, ist das Anliegen im Werkstatthaus.“ Mit welchen Angeboten möchten Sie das Werkstatthaus für jüngere Generationen attraktiv machen?
Wie eben erwähnt verstehe ich das Werkstatthaus als ein Mehrgenerationenhaus. Genauso divers wie unser Publikum wollen wir auch unser Programm gestalten. Wir setzen verstärkt auf lokale und internationale Netzwerke, mit dem Ziel, interessante Kooperationspartner langfristig an das Haus zu binden. Das Ausstellungsprogramm will gleichermaßen regionale wie internationale Künstler:innen berücksichtigen. Wir wollen Ausstellungen präsentieren, die inhaltlich zum Haus passen, begleitet von einem Rahmenprogramm, bestehend aus Talks, Lectures, Filmen und Workshops. Unser neuer Veranstaltungsraum im Keller gibt uns außerdem die Möglichkeit, Bands und Künstler:innen abseits vom Mainstream zu präsentieren, die sonst in Stuttgart keine Auftrittsmöglichkeiten finden. Hier denken wir an experimentelle Elektronik, Field Recordings, Avantgarde Jazz, neue Musik aber auch unbekanntere Indiebands. Außerdem sind niederschwellige Formate geplant, wie ein Flohmarkt, eine Self-Publishing Messe, Filmabende, ein Tag der offenen Tür, Sommerfeste und spezielle Musikformate im Café und im Sommer – auch unter unserem wunderschönen Sequoia (Mammutbaum) auf den Hügel zum Werkstatthaus. Welche Rolle spielt das Werkstatthaus für das Thema „Engagement“ und Bürgerbeteiligung aller Stuttgarter:innen?
Das Werkstatthaus versteht sich als transdisziplinäre Plattform für Kunstproduktion und Kunstvermittlung. Meinem Vorgänger Alexander Jöchl war es aber ein wichtiges Anliegen, das Haus nach außen zu öffnen und in verschiedene Stadtteilinitiativen in Stuttgart Ost zu integrieren. Diesen Weg wollen wir gemeinsam fortsetzen. Ein weiterer wichtiger Schritt, um das Haus nach außen zu öffnen, ist die Umfunktionierung des Cafés. Das Café im Erdgeschoss soll in Zukunft verstärkt als Projektraum für zeitgenössische Kunst, Veranstaltungsraum und multifunktionaler Arbeitsraum dienen. Sehr gerne stellen wir den Raum unterschiedlichen Akteur:innen der lokalen Kunst- und Kulturszene für Workshops und Projekte zur Verfügung. Für 2022 sind bereits verschiedene Projekte in Planung. Unter anderem ein Zwischennutzungsprojekt in Bad Cannstatt und ein Urban Gardening Projekt. Aber auch die Vision eines Skulpturenparks, im Park unterhalb des Werkstatthauses schwirrt schon länger in meinem Kopf herum. Welche Vision haben Sie für das Werkstatthaus entwickelt?
Das Werkstatthaus als einen aktiven und lebendigen Ort im Stuttgarter Kunst- und Kulturleben zu etablieren. So, dass das Werkstatthaus in einem Atemzug mit Institutionen, wie dem Künstlerhaus und dem Württembergischen Kunstverein genannt wird, ohne seinen Charme als unprätentiöse Produktionsstätte für Kunst und Kultur zu verlieren. Im Idealfall gelingt es uns, einen funktionierenden Ort des Diskurses und Austausches zu schaffen, der jenseits vom Mainstream ein spannendes Programm für Alt und Jung präsentiert und sich in einem regen Austausch mit unterschiedlichen Kulturakteuren und Initiativen der Stadt Stuttgart sowie regionalen, nationalen und internationalen Institutionen befindet. Haben Sie schon mal eine Vase getöpfert?
Ja, im Werkunterricht in der Schule.
Fotografien von Matthias Straub