Durch ihre Arbeit als Texterin sucht unsere neue Kolumnistin
Laura Müller-Sixer jobbedingt nach Alltagsinspirationen.
Und auch abseits der Tastatur bringt sie mit einer aufmerksamen und originellen Art auf ihrem
Instagram-Channel regelmäßig ihre Community zum Schmunzeln. Zwischen Laubbläser, Bahnbekanntschaften und einer italienischen Verwechslung erzählt sie uns von der Wichtigkeit von unscheinbaren, aber bedeutsamen Begegnungen im Alltag.
Es ist ein normaler Tag in der Schwabenmetropole Stuttgart: im Hausflur hängt mein Nachbar das Kehrwochen-Schild triumphierend um. Ich grüße ihn freundlich, er nickt – das ist unser Ding. Es sind die kleinen, naja, Gesten, die ich zu schätzen gelernt habe. Als sogenannte „Neigschmeckte“ hatte ich anfangs meine Probleme, das zurückhaltende Temperament der Schwaben zu deuten. Und ja, auch wenn hier gerne „gebruddelt“ wird, es gibt sie wirklich: diese besonderen zwischenmenschlichen Momente der Freundlichkeit.
Die Bedeutung zufälliger Begegnungen
Schon der Soziologe Mark S. Granovetter schrieb Anfang der Siebzigerjahre in seinem Aufsatz „The Strength of Weak Ties“ unter anderem von der Bedeutung zufälliger Begegnungen. Autor Daniel Schreiber widmete dem Thema „The Kindness of Strangers“ sogar ein ganzes Kapitel in seinem 2021 erschienenen Buch „Allein“. Alltagsbegegnungen wie die mit meinem Nachbar scheinen also gar nicht so unwichtig zu sein für unser Gefühl von Zugehörigkeit.
„Ebenso, dangge!“
Als ich das Haus verlasse bläst der Laubbläser (mit viel Fantasie zum Rhythmus von „We Will Rock You“) und eine Frau mit Lastenfahrrad schreit einen hupenden SUV an. Ich laufe am Lotto-Laden nebenan vorbei. Willi, der Inhaber, steht mit aufgeknöpftem Hemd im Türrahmen und schaut auf seine Uhr. Ich weiß, dass er Willi heißt, weil er sehr gerne über sich selbst in der dritten Person spricht. „Gleich zwölfe, dann wird’s aber Zeit“, sagt er mit dem Kinn in meine Richtung deutend und meint damit den Laubbläser. Ich lächle zustimmend. Willis erstaunlich weißen Zähne blitzen auf, er lächelt zurück und wünscht mir einen schönen Tag. „Ebenso, dangge!“
„Guten Morgen Lady“
Mein Weg führt mich weiter zum nächsten Kiosk. „Guten Morgen Lady“, sagt der nette Mann an der Kasse und ich bilde mir ein, dass er das immer nur zu mir sagt. Es folgt ein kurzer Smalltalk. Ihr wisst schon: Pandemie, Wetter, Laubbläser. Ich kaufe eine Spezi und gehe weiter in Richtung Feuersee. Auf halber Strecke begegnet mir eine ältere Frau, die mich nach Hilfe fragt. Sie könne nicht mehr so gut laufen und suche jemanden, der sie ein Stück begleitet. Also begleite ich sie. Sie erzählt mir, dass sie Italienerin ist, „viele Enkel“ und „viele Wohnungen“ hat. „Du auch Italiano?“ Ich antworte: „nein“, und daraufhin versichert sie mir, dass ich dennoch sehr schöne Haare habe. Amore!
„Wir sollten auch mal wieder einen Kaffee trinken gehen“
An der Bushaltestelle verabschiedet sich die Dame so, als würde sie mich schon viele Jahre kennen. Ich steige in den 43er zum Marienplatz und treffe eine Freundin von dem Mitbewohner eines Freundes. Wir tauschen ein Lächeln unter Masken aus und versichern uns dann gegenseitig, dass wir ja auch mal wieder einen Kaffee zusammen trinken sollten. Natürlich wissen wir beide, dass dies nur eine Floskel bleiben wird. Aber es ist nett, sich das gegenseitig immer mal wieder anzubieten.
Mehr Zwischenmenschlichkeit, weniger Bruddeln
Am Marienplatz angekommen steige ich aus dem Bus und laufe zu meinem Lieblingscafé. Man kennt sich hier. Drei Cappuccino mit Hafermilch in der Sonne und zehn bekannte Gesichter später trete ich den Heimweg an. Heute fühle ich mich der Stadt näher als sonst. Ich beobachte das Treiben um mich herum. Es sind diese besonderen zwischenmenschlichen Momente der Freundlichkeit, die ich in den vergangenen zwei Jahren vermisst habe. Wir brauchen mehr davon, denke ich. Mehr „Kindness of Strangers“, mehr Zwischenmenschlichkeit, weniger Bruddeln! Vor allem in Zeiten wie diesen. Come on Stuttgart: Treat People with Kindness!